18.05.2021

Blick hinter die Kulissen: Chillidas Weg nach Wiesbaden (Teil 2)

In Teil 1 von unserem Blick hinter die Kulissen haben wir darüber informiert, wie die Skulptur „Buscando la luz III“ von Eduardo Chillida in den Besitz des Sammlers Reinhard Ernst gelangte. Doch mit dem Erwerb des Kunstwerks bei einer Auktion von Sotheby’s in London war die Geschichte noch lange nicht zu Ende. Carolin Langer, Kunsthistorikerin im zukünftigen Museum Reinhard Ernst, gibt Einblicke zur weiteren Entwicklung:


Mit der freudigen Nachricht über den Kauf der mehrteiligen Chillida-Skulptur ging zunächst die Recherche los. Wie sieht das Objekt aus, welche Informationen sind wichtig und müssen an den Spediteur weitergegeben werden?

Zunnächst muss man für einen Transport natürlich die Proportion eines Kunstwerks kennen. In der Sammlung Reinhard Ernst sind wir den Umgang mit großen Formaten gewohnt, denn sie sind eines der Alleinstellungsmerkmale der Sammlung.

Das Auktionshaus Sotheby’s stellte uns alle nötigen Details zur Verfügung, unter anderem auch das Gewicht der einzelnen Objektteile. Allein diese Angaben stellten klar: Der Transport wird eine echte Herausforderung! Die drei Teile der Skulptur wiegen jeweils zwischen 2.500 und 3.700 Kilogramm und sind dazu noch ziemlich groß. Die Kunstspedition staunte dementsprechend nicht schlecht, als ihr alle Informationen vorlagen. Viele weitere Fragen taten sich auf: Wie sind die Objekte aktuell gelagert? Stehen sie auf Paletten? Wie verladen wir die Objekte in den Lastwagen? Wohin werden die Skulpturen transportiert? Ist dort genügend Platz zum Abladen? Gibt es dort einen Kran?

Für das Museum Reinhard Ernst und die laufenden Bauarbeiten war ein weiteres Detail wichtig: Stimmen die Gewichtsangaben, die uns das Auktionshaus weitergeleitet hat? Ist die Decke zum darunterliegenden Untergeschoss für eine solche Last ausgelegt?

Nach den ursprünglichen Museumsplänen sollte hier eine deutlich leichtere Skulptur platziert werden, deswegen musste erneut die Bewertung eines Statikers angefordert werden. Er sollte ein anzufertigendes Untergestell aus Stahl berechnen, das vor der Installation der Skulptur eingebracht werden kann.

Dann ging die Koordination des Transports los. Die Teile der Skulptur waren auf Schwerlast-Paletten in einem Londoner Depot gelagert. Die in Deutschland ansässige Spedition plante in Zusammenarbeit mit einem britischen Partnerunternehmen die Aufladung mit einem Schwerlaststapler, der die drei Paletten auf die Ladefläche des Sattelzuges heben sollte. Wir als Auftraggeber hatten auf die Vorgehensweise keinen Einfluss.

Nach einer Sicherheitsbegehung des Speditionspartners mit geschulten Depotmitarbeitern in London und einer Begutachtung der Skulpturenteile vor Ort stand fest: Die Aufladung kann nicht wie geplant mit einem Stapler durchgeführt werden. Nun sollte ein Schwerlastkran die drei Objekte in den Sattelzug heben. Das erste Angebot des Spediteurs wurde entsprechend nachjustiert, der Auftrag erteilt, und wir waren froh, einen zeitnahen Termin für den Transport und die Anlieferung im sammlungseigenen Kunstdepot gefunden zu haben. Unser Ziel war es, die Skulptur noch im Jahr 2020 nach Deutschland zu transportieren – denn zum 31. Dezember 2020 stand der Brexit vor der Tür. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, wie und ob ein Abkommen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union zustande kommen würde. Der Zeitpunkt zur Verladung in London wurde auf den 9. Dezember 2020 festgelegt, unser Plan konnte also aufgehen. Bei so hochpreisigen Werken ist es besonders wichtig, sich den Schutz von einer Versicherung bestätigen zu lassen. Die Bestätigung kam schnell zurück und wir blickten guter Dinge einem reibungslosen Ablauf entgegen.

Die Waage, die erneut das Gewicht überprüfen sollte, traf wie vereinbart bereits einige Tage vor diesem Termin ein. Am Vormittag des 9. Dezember erhielt ich die Nachricht, dass alle am Transport beteiligten Firmen anwesend seien und der Schwerlastkran aktuell seine Stellung beziehen würde.

Eine Stunde später erreichte uns ein Anruf der Spedition, den ich freudig entgegennahm – ich rechnete mit der Bestätigung, dass alles wie geplant ablief. Doch man übermittelte eine Hiobsbotschaft: „Frau Langer, wir haben ein großes Problem. Der Transport wurde abgebrochen. Ein Teil der Skulptur ist beim Anheben abgestürzt und nun beschädigt.“ Eine Katastrophe!

Unsere Spedition konnte leider keine weiteren Infos übermitteln, da die Verladung von einem Partnerunternehmen aus London durchgeführt wurde. Also trat ich mit unserer Kontaktperson bei Sotheby’s in Verbindung, die in direktem Kontakt mit den Depotmitarbeitern vor Ort stand. Sie konnte mir mehr zum Vorfall berichten: Beim Anheben brach die erste Palette unter der Last der Skulptur zusammen und stürzte aus mehreren Metern Höhe auf ein weiteres Skulpturenteil. Ich ahnte Schlimmes. Über 2.500 kg Stahl fallen aus großer Höhe auf mindestens genauso viel Gewicht – das konnte nicht gut ausgehen!

Herr Ernst, der sich über den Erwerb der Skulptur sehr gefreut hatte, wurde umgehend über den Vorfall informiert und wollte die tragischen Ereignisse erst nicht glauben. Die ersten Bilder des Schadens, die uns einen Tag später erreichten, versprachen nichts Gutes: viele Einkerbungen und Schrammen an den betroffenen Objekten. Wie sollte es nun weitergehen?

Zuerst musste natürlich die Versicherung informiert werden. Alle Informationen, die mir vorlagen, gab ich so detailliert wie möglich weiter. In einem nächsten Schritt musste durch die Versicherung ein Gutachter beauftragt werden, der sich den Schaden genau ansehen, dokumentieren und den Vorfall analysieren sollte. Es war besonders wichtig, dass diese Begutachtung vor Ort stattfand – der Gutachter musste also auf jeden Fall nach London reisen, um dort die Bestandsaufnahme vorzunehmen. Doch nun bahnte sich das nächste Problem an: Die Pandemie-Situation legte seit Anfang 2020 die gesamte Welt lahm, Reisen waren nur unter Einschränkungen oder gar nicht möglich. Insbesondere im Vereinigten Königreich war die Infektionslage im Dezember sehr hoch, eine Einreise nur noch unter enormem bürokratischen Aufwand möglich. Durch die gute Zusammenarbeit unseres Kunstspediteurs mit dem Gutachter konnte eine Mitarbeiterin unter strengen Auflagen nach London reisen und das Gutachten erstellen. So erreichten uns auch detailliertere Bilder des Schadens. Sie bestätigten tiefe Einkerbungen am Objekt. Außerdem zeigte ein Bild eine lange Schleifspur über die gesamte Breite einer Stahlfläche. Für uns sah es so aus, dass der Schaden doch noch größer war als ursprünglich angenommen.

Nun gingen die Überlegungen weiter: Wo sollte die Skulptur instand gesetzt werden? Schicken wir sie nach Spanien zum Chillida Estate, sollen wir sie in London reparieren lassen oder haben wir dafür auch in Deutschland eine gute Möglichkeit? Muss vielleicht ein Restaurator aus dem Baskenland anreisen, um die Restaurierung zu betreuen?

Durch die freundschaftlichen Kontakte von Herrn Ernst zu den Söhnen des Künstlers waren die Kommunikationswege kurz und es kam schnell Entwarnung: Der Schaden war nicht so groß, dass er irreparabel sei. Eine spezialisierte Werkstatt kann also Abhilfe schaffen. Vom Gutachter kam eine Empfehlung für die Werkstatt „Die Schmiede“ in Duisburg, die seit Jahren mit Cortenstahl arbeitet. Sie wird von zwei erfahrenen Diplom-Restauratoren geleitet. Die Entscheidung für eine Reparatur in Deutschland war also innerhalb von wenigen Tagen gefallen. Mittlerweile war es Mitte Dezember, der Brexit rückte immer näher. Die Telefonleitungen unserer Kunstspedition liefen heiß: Es mussten neue Schwerlastpaletten angefertigt und die sichere Verladung der drei Objekte koordiniert werden. Es fehlten auch noch die Informationen zum genauen Gewicht der einzelnen Teile, damit unsere Architekten die Tragfähigkeit der Decke im Museum Reinhard Ernst sicherstellen konnten. Außerdem standen die Feiertage kurz bevor. Glücklicherweise konnte alles so organisiert werden, dass ein verbindlicher Abholtermin in London für den 22. Dezember ausgemacht wurde. Die Skulptur wäre also noch im Jahr 2020 in Deutschland und würde auf direktem Weg in die Werkstatt gebracht werden. Alle bevorstehenden Probleme durch den Brexit hätten wir noch umgangen – große Erleichterung!

Natürlich blieb es nicht bei diesem Plan. Denn das Infektionsgeschehen in Großbritannien geriet aufgrund einer Virus-Mutation außer Kontrolle. Der Eurotunnel wurde geschlossen, der Fährverkehr zwischen Großbritannien und dem Festland eingestellt. Frankreich machte die Grenze zu Großbritannien dicht. Wir alle haben noch die Bilder aus den Nachrichten vor Augen, die den kilometerlangen Stau vor Dover zeigten. Unser Transport wurde also abgesagt. Es war nicht mehr daran zu denken, dass die Skulptur noch im Jahr 2020 Deutschland erreichen würde. Wenn einmal der Wurm drin ist …

Nun mussten wir abwarten. 2021 begann, ein Brexit-Abkommen wurde geschlossen, die Grenzen wieder geöffnet, der Güterverkehr zwischen der Insel und dem Festland lief langsam an. Wir starteten also einen neuen Versuch: Schwerlastkran, Waage und Sattelschlepper wurden organisiert, als neuer Ladetermin in London wurde der 12. Januar festgelegt. Wenn diesmal alles nach Plan läuft, kommt die Skulptur in zwei Tagen in Duisburg an! Am 14. Januar war es dann soweit – die dreiteilige Skulptur traf in der Restaurierungswerkstatt in Duisburg ein. Herr Ernst war selbst vor Ort, um das lang ersehnte Kunstwerk nach dieser Odyssee zu empfangen.

Nach einer ersten Einschätzung des Restaurators kann man die Stellen so bearbeiten, dass die Schäden fast verschwinden. Durch das Aufschweißen von zusätzlichem Material, Abschleifen und dem Auftragen einer speziellen Säure wird in zwei bis drei Jahren kaum noch etwas von den Schrammen zu sehen sein. Cortenstahl ist für solche Reparaturen ein sehr dankbares Material, da es mit den Jahren nachrostet. Dieses Verhalten macht man sich bei der Restaurierung zunutze.

Nach all den dramatischen Wendungen dieser Geschichte konnten wir alle nun wieder durchatmen. Die Versicherung bestätigte außerdem, für die Reparaturkosten aufzukommen. Nach den Arbeiten in der Duisburger Werkstatt wird die Skulptur in unserem Kunstdepot zwischengelagert, bis sie schließlich im Jahr 2022 ihren endgültigen Platz im Lichthof des Museums Reinhard Ernst finden wird.

Das Museumsgebäude ist bis dahin schon fast fertiggestellt. Es bleibt also nur ein einziger Weg, das Kunstwerk an den vorgesehenen Platz zu transportieren: Ein Kran lässt die drei Teile von oben in den Lichthof hinein. Mehrere Tonnen werden in über 20 Metern Höhe an einen punktgenau festgelegten Platz balanciert. Über dieses Spektakel werden wir an dieser Stelle ausführlich berichten!