22.02.2021

MRE goes Mad(C)

Das Museum Reinhard Ernst wird mit abstrakten Arbeiten ab 1945 nicht nur einen kunsthistorisch bedeutenden Korridor der vergangenen 75 Jahre abbilden, sondern auch Werke der Gegenwart präsentieren. So berichteten wir auf dieser Website im vergangenen Jahr über eine Auftragsarbeit des Bildhauers Tony Cragg für das Museum Reinhard Ernst. Diese Skulptur ist jedoch nicht das einzige Kunstwerk, das speziell für das Museum angefertigt wurde. Der gesamte Bau – insbesondere auch die öffentlich zugänglichen Bereiche – birgt für seine Besucherinnen und Besucher weitere visuelle Überraschungen.

So ziehen mit den Gemälden der Graffitikünstlerin MadC weitere Werke ein, die eigens für das Museum entworfen wurden und eine wichtige aktuelle Kunstform widerspiegeln. Diese Arbeiten werden direkt in den Museumsbau integriert und ergänzen die Kunstsammlung in ihren Themenschwerpunkten Farbe, Format und Abstraktion.

Claudia Walde alias MadC wurde 1980 in Bautzen/Sachsen geboren. Sie lebt und arbeitet in Halle/Saale und hinterlässt mit ihrer einzigartigen Kunst weltweit Spuren. Seit 22 Jahren ist sie Teil der internationalen Graffiti- und Street-Art-Szene und entwickelte sich vom „jungen Mädchen mit der Spraydose“ zu einer der bekanntesten Fassadenkünstlerinnen der Welt. Ihr außerordentliches künstlerisches Talent untermauerte sie mit Abschlüssen in Kommunikationsdesign an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und dem Central Saint Martins College of Art and Design in London. Bislang veröffentlichte Claudia Walde drei Publikationen über Street Art.

MadC, o. T., 2019, Sprühfarbe und Acryl auf Leinwand (© MadC)
MadC, o. T., 2020, Sprühfarbe und Acryl auf Leinwand (© MadC)
MadC, o. T., 2019, Sprühfarbe und Acryl auf Leinwand (© MadC)

Künstlerisch ist MadC von ihrer Graffiti-Vergangenheit geprägt. Ihre Arbeiten bestechen durch mutige, leuchtende Farbkombinationen, das Spiel mit transparenten Farbebenen und spontanen kalligrafischen Elementen. Damit erzielt sie eine einzigartige Bildwirkung. Ihre Malereien auf Leinwand entwickelt MadC mit Acryl- und Sprühfarbe, ihre Werke wurden auf zahlreichen internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen präsentiert.

MadC, Berlin Mural Fest, Deutschland, 2019 (© Marco Prosch)
MadC, Chicago, USA, 2018 (© Marco Prosch)
MadC, Jersey City, USA, 2019 (© Marco Prosch)
MadC, Kopenhagen, Dänemark, 2019 (© Marco Prosch)

Trotz dieser relativ klassischen Medien und der Ausstellung ihrer Werke in Museen und Galerien bleibt die spezielle, direkte Verbindung zur Street Art: Mit unzähligen, farbenprächtigen Wandgemälden, den sogenannten „Murals“, überträgt MadC ihre Kunstwerke auf ganz neue Dimensionen. Von dem prestigeträchtigen Mural Arts Program in Philadelphia, USA, dem Free at Last Mural im Sinkka Museum in Finnland, dem Berlin Mural Fest in der deutschen Bundeshauptstadt bis zum Abu Dhabi Mural in den Vereinigten Arabischen Emiraten folgte und folgt MadC vielen Einladungen und zeigt so ihre Kunst im übergroßen Format.

Für das Museum Reinhard Ernst entwirft die Künstlerin fünf Arbeiten, die in großer Proportion auf Glas übertragen und (an noch geheimer Stelle) im Museumsbau integriert werden. Die Idee, im Museum bestimmte Sichtachsen mit farbigen Glasarbeiten hervorzuheben, hatte der Stifter Reinhard Ernst schon lange. Durch die Wirkung von Farbe, Transparenz und Licht soll die einzigartige Atmosphäre im Museum – durch die offene, großzügige Raumwirkung – weiter unterstützt werden. Nicht zuletzt der Architekt Fumihiko Maki ist von den Entwürfen begeistert und sieht sie als perfekte Ergänzung seiner Pläne für das Gebäude.

Der Stil der Graffiti-Künstlerin wird mit der Übertragung auf Glas in besonderer Weise zur Geltung gebracht: Die Farben, ihre Überlagerungen und Leuchtkraft werden so hervorgehoben. Das Projekt steht aktuell kurz vor der finalen Umsetzung, ein gemeinsamer Besuch mit der Künstlerin im ausführenden Glasstudio hat bereits stattgefunden.

MadC, Galerieansicht Kolly Galerie, Zürich, 2018 (© Marco Prosch)

Für die Anfertigung der Glasarbeiten konnte das Museum Reinhard Ernst die Glaswerkstatt Derix gewinnen, die in 5. Generation geführt wird. In Taunusstein – vor den Toren Wiesbadens – entsteht seit vielen Jahren in Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden sowie Profis aus den Bereichen Glasmalerei und Glasveredlung Kunst auf Glas, der man unter anderem auch in zentraler Lage Wiesbadens begegnet: So taucht seit 2009 eine Arbeit von Mario Haunhorst die Unterführung vor dem Wiesbadener Hauptbahnhof unter dem Kaiser-Friedrich-Ring in bläuliches Licht. Die Verglasung dieser Wände wurde von Derix angefertigt.

Mario Haunhorst, Unterführung Wiesbaden Hauptbahnhof, 2009 (© Mario Haunhorst)

In seiner mehr als 150jährigen Geschichte hat es sich das Unternehmen zur Aufgabe gemacht, in enger Kooperation mit Künstlerinnen und Künstlern die Objekte auf Glas so umzusetzen, dass sie sich perfekt in das spätere architektonische Umfeld einfügen. Diese Fertigkeiten bewies das Traditionsunternehmen an zahlreichen historischen Bauten: Seit 1908 trägt Derix den Titel „Päpstliche Hofglasmalerei“ und erstellte unter anderem Verglasungen für die Sixtinische Kapelle in Rom.

Wilhelm Derix sah die Glaswerkstatt und sein qualifiziertes Personal als Orchester an, das die Kompositionen der Künstlerinnen und Künstler umsetzt. Die Festschrift zum 150. Jubiläum zitiert den Firmengründer: „[Wir möchten] für den Komponisten einen optimalen Klangkörper bilden […], wobei auch einmal eine individuelle Phrasierung des Dirigenten oder der Instrumentalisten erwünscht ist.“

Die Glaswerkstatt Derix wurde 1866 in Goch am Niederrhein gegründet – und befindet sich seitdem in Familienhand. Seit 1974 ist das Unternehmen in Taunusstein ansässig, es zählt mittlerweile rund 60 Beschäftigte. Inhaber und Geschäftsführer ist Rainer Schmitt.

Ein Grundsatz der Glaswerkstatt ist es, sich dem Neuen zu öffnen und das Medium Glas mit allen handwerklichen Mitteln zu bespielen. Diese Devise und die handwerkliche Expertise zeigen sich unter anderem in den Projekten mit namhaften Persönlichkeiten der neueren Kunstgeschichte. Dazu zählen Georg Meistermann, HAP Grieshaber, Emil Kiess, Tobias Rehberger, Max Uhlig, Imi Knoebel, Gerhard Richter, Markus Lüpertz und der Wiesbadener Glaskünstler Karl-Martin Hartmann. Fast alle diese Namen sind übrigens in der Sammlung Reinhard Ernst vertreten.

Narcissus Quagliata, Kaohsiung Central Station, Taiwan, 2005-2007 (© N. Quagliata)
Gerhard Richter, Kölner Dom, Einweihung 2007 (© Derix Glasstudios)
Imi Knoebel, Jeanne d’Arc Kapelle, Kathedrale zu Reims, Frankreich, Einweihung 2015 (© Ansgar Wacker)
Markus Lüpertz, südlicher Machabäerchor, St. Andreas, Köln, Einweihung 2010 (© Martin Duckeck)
Markus Lüpertz, Kapelle St. Martin, 2009

Die Zusammenarbeit von MadC und Derix ist eine Bereicherung für das Museum und komplettiert in vielen Bereichen seine Visionen. Seien Sie gespannt auf das Ergebnis – und weitere architektonische Überraschungen!


Weiterführende Links:
Website MadC
Website Derix Glasstudios