Oltre (Ciclo II-3 Rosso ‘85), 1985

Die gestische Malerei des Autodidakten Emilio Vedova wurde zu seinen Lebzeiten von Kunstkritikern schnell der Strömung des Informel zugeordnet. Der Künstler selbst jedoch hielt diese Zuordnung für oberflächlich, denn entgegen des informellen Automatismus seien seine Gemälde gebaut. Die inhärente Struktur spiegle eine Bewusstseinsstruktur wider, die nicht nur auf seiner eigenen Persönlichkeit basiere, sondern einen allgemeinen Erfahrungsbereich abbilde. Vedova war bekennender Antifaschist und ab 1944 unter anderem in der norditalienischen Partisanenbewegung aktiv. Als Mitbegründer verschiedener italienischer Künstlerbewegungen – wie Corrente, Nuova Secessione Italiana, Fronte Nuovo delle Arti, Gruppo degli Otto – war Vedova aus dem Kunstgeschehen nach 1945 nicht mehr wegzudenken. Neben zahlreichen Ausstellungen in Europa fand 1951 seine erste Ausstellung in New York statt. Dreizehnmal nahm Vedova an der Biennale von Venedig teil und gewann 1997 den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Weitere mehrfache Teilnahmen an der Biennale von São Paulo und der documenta in Kassel unterstreichen den Stellenwert von Vedovas Werk im Kontext des internationalen Kunstgeschehens nach 1945.

Das zweiteilige Gemälde Oltre (Ciclo II-3 Rosso ’85) aus der Sammlung Reinhard Ernst steht für eine weit vorangeschrittene Werkphase des Künstlers. Nachdem er bis in die 1960er-Jahre eine Bildsprache entwickelt hatte, die zwar vordergründig auf einer gestischen Pinselführung und dem psychischen Automatismus gründete, sich dabei jedoch einer Struktur von Symbolen bediente, verlor sich Vedova in der Verunsicherung über aktuelle Entwicklungen der bildenden Kunst: Pop-Art, Minimal Art und Konzeptkunst verdrängten zunehmend die expressive Malerei. Erst Mitte der 1980er-Jahre fand der Künstler seine Bildsprache wieder. In dieser Zeit entstanden die drei großen Werkserien Dischi, Tondi und Oltre – aus letzterer stammt das Werk aus der Sammlung Reinhard Ernst. In Oltre werden Raum und Material betont: Der Gegensatz zwischen geometrischen Formen, der quadratischen Malfläche und dem weißen Kreis, und den unberechenbaren, expressiven Pinselstrichen, von denen die Farbe über die Leinwand rinnt, unterstreicht dies nachdrücklich.