24.05.2023

Baustellenbericht Mai 2023

Künstlerin Bettina Pousttchi und Museumsgründer Reinhard Ernst (Foto: Dekubanowski, mre)
Direktor Dr. Oliver Kornhoff und Künstlerin Bettina Pousttchi (Foto: Dekubanowski, mre)

Leitplanken im Museumsfoyer: Eine Stellprobe mit Bettina Pousttchi

Wenn am Hintereingang des Museums Reinhard Ernst ein großer Lkw vorfährt, wird in der Regel Baumaterial angeliefert. Nicht so an diesem Dienstag im Mai: Heute enthüllt die sich öffnende Ladebordwand ein beträchtlich großes Kunstwerk.

Vor wenigen Tagen hat die Künstlerin Bettina Pousttchi am Berliner Washingtonplatz eine sechs Meter hohe, leuchtend rote Skulptur aus der Serie „Vertical Highways“ eingeweiht, heute ist sie nach Wiesbaden gereist, zur Stellprobe im Museum Reinhard Ernst. Eine neue Arbeit von ihr wird im Museumsfoyer aufgestellt werden – sie soll künftige Besucher:innen in die Ausstellungsräume leiten. Die Arbeit wird sich über eine Länge von rund 7,20 Metern erstrecken und ist bis zu 3,50 Meter hoch – damit eine der größten Skulpturen der gebürtigen Mainzerin. Heute trifft sie sich mit dem Museumsstifter Reinhard Ernst und Gründungsdirektor Oliver Kornhoff vor Ort. Sie will prüfen, wie sich die Skulptur im Raum verhält, wie sie im Boden verankert wird und ob alle Sicherheitsaspekte berücksichtigt sind. Denn Bettina Pousttchi verwendet für ihre Arbeiten ein ganz besonderes Material: Leitplanken aus Stahl.

Seit 2005 arbeitet die Berliner Künstlerin mit „Stadtmobiliar“. Sie zweckentfremdet Straßenpfosten, Absperrungen, Fahrrad- oder Baumschutzbügel und schichtet diese genormte, funktionale Massenware zu filigran und teils bewegt wirkenden Gebilden. Die Serie „Vertical Highways“ besteht aus aufgerichteten Leitplanken, die – verbogen, gestaucht und ineinander verkeilt – wie übergroße tanzende Figuren wirken. „Die vertikale Ausrichtung der normalerweise horizontal eingesetzten Leitplanken verändert die räumliche Wahrnehmung beim Betrachten der Skulpturen und verleiht ihnen einen architektonischen Bezug“, so die Künstlerin, deren Arbeiten u. a. in Paris, London, Chicago und Washington sowie in zahlreichen deutschen Museen zu sehen waren, etwa in der Berlinischen Galerie, der Bundeskunsthalle Bonn oder im Arp Museum Bahnhof Rolandseck.

Das Material für ihre Arbeit bestellt Bettina Pousttchi im Internet. Sie betont, dass sie genau dieselben Fabrikate verwendet, die auch im Straßenbau eingesetzt werden, „das Ready-made im Sinne von Marcel Duchamp“. Anschließend werden die Leitplanken in eine Metallwerkstatt geliefert und dort von der Künstlerin mit einer Industriepresse unter hohem Druck verformt. Dieser Prozess beruht auf viel Erfahrung, Beobachtung und Fingerspitzengefühl – die schwerelos anmutenden Skulpturen sind Präzisionsarbeit. Fertig ist die Arbeit übrigens erst, wenn sie ihre farbige Oberfläche erhalten hat.

„Durch die künstlerische und die örtliche Verwandlung setzen die Leitplanken nun keine Grenzen mehr“, sagt Gründungsdirektor Oliver Kornhoff. „Im Gegenteil. In der Kunst werden Verkehrsführung und Geschwindigkeitsbegrenzung aufgehoben. Besser kann man auf einen Ausstellungsbesuch nicht eingestimmt werden“, führt er aus.

Am Ende des Vormittages wird das Kunstwerk wieder verladen: Einige letzte Handgriffe müssen noch getan werden, bevor die Arbeit ihren festen Platz im Museum findet.